ETU-News im November

Ein Interview mit Antonio Barbarino, Generalsekretär der ETU

Wahre Stärke zeigt sich in einer Krise

Jahrzehntelang war Europa der führende Kontinent im Taekwondo. Doch in letzter Zeit hat die Taekwondo-Familie dort einige Rückschläge hinnehmen müssen, zuerst wegen der Pandemie und jetzt wegen des Krieges in der Ukraine und seiner Auswirkungen. Wir sprachen mit Antonio Barbarino, dem Generalsekretär der Europäischen Taekwondo Union (ETU).

TA: Herr Generalsekretär, seit vielen Jahren ist Europa in Bezug auf Taekwondo ein gesegneter Kontinent, mit zahlreichen G-Class-Meisterschaften, offenen Grenzen und einfachen Reisemöglichkeiten. Selbst die Corona-Krise konnte das blühende Taekwondo-Leben auf dem Kontinent nicht wirklich aufhalten. Aber jetzt hat sich die Situation geändert, mit dem Krieg in der Ukraine, der eine Tragödie ist und dessen Auswirkungen überall in Europa mit steigenden Preisen und knapper Energieversorgung zu spüren sind. Wie wirkt sich das auf Taekwondo in Europa aus?

Antonio Barbarino: In erster Linie ist dieser Krieg eine humanitäre Tragödie, und wie alle Menschen in Europa wünschen wir von der Europäischen Taekwondo Union uns einen friedlichen Ausgang.

Auf einer anderen Ebene müssen wir mit den Auswirkungen dieser Katastrophe so gut wie möglich umgehen. So ist zum Beispiel die Zahl der Teilnehmer an unseren Veranstaltungen um 20 bis 30 Prozent zurückgegangen. Dies ist vor allem auf die höheren Kosten für Flugtickets, Unterkunft und Verpflegung zurückzuführen. Eine weitere Folge dieser Entwicklung ist, dass mit weniger Teilnehmern die Qualität der Turniere sinkt und mit weniger aktiven Sportlern letztlich auch die Qualität des europäischen Taekwondo leidet.

TA: Dies wird durch die Suspendierung der russischen und weißrussischen Athleten noch verschärft?

TA: Ja, natürlich. Um nur ein Beispiel zu nennen: Russland war die erfolgreichste Nation bei den Olympischen Spielen in Tokio und die russischen Athleten haben mit zwei Goldmedaillen und fünf Medaillen insgesamt dazu beigetragen, dass Europa dort der führende Kontinent war und mehr Medaillen gewonnen hat als alle anderen Kontinente zusammen. Wir müssen sowohl auf die Spitzensportler als auch auf die Masse der Athleten verzichten, und das wirkt sich auf die Ranglisten und letztlich auf die Olympiaqualifikation aus.

Gleichzeitig müssen wir auch an die Taekwondo-Familie in der Ukraine denken, die am meisten unter der Situation leidet. Als Europäische Taekwondo Union unterstützen wir sie so gut wir können. Wir erlassen ukrainischen Spielern bei Europameisterschaften die Startgebühren und viele Präsidenten der ausrichtenden Nationen von offenen Turnieren tun das Gleiche, denen ich an dieser Stelle danken möchte.

TA: Auch in dieser schwierigen Situation muss die Planung für das nächste Jahr weitergehen. Kürzlich waren Sie deshalb zusammen mit ETU-Präsident Sakis Pragalos in Rom zu einem Treffen mit dem Präsidenten des italienischen Taekwondo-Verbandes FITA Angelo Cito. Wie war dort der Ausblick auf das kommende Jahr?

Antonio Barbarino: Ich freue mich, dass Italien weiterhin ein Turnier der Grand-Prix-Serie ausrichten wird. Außerdem wird 2023 und 2024 ein europäisches G2-Turnier in Italien stattfinden, und zwar in Mailand und Genua.

Nach den Plänen des WT wird es in Zukunft vier G2-Turniere pro Kontinent geben, einschließlich des President’s Cups. Wir befinden uns in engen Gesprächen mit Bulgarien und der Türkei, die ebenfalls daran interessiert sind, in den nächsten zwei Jahren G2-Turniere auszurichten. Beide Länder sind hervorragende Organisatoren mit einer Reihe großartiger Veranstaltungen, so dass ich sicher bin, dass unsere Turniere dort gut aufgehoben sein werden.

Ein Höhepunkt im nächsten Jahr werden die European Games in Polen sein. Dafür wird es eine offene Qualifikationsveranstaltung Ende März 23 geben.

Anfang 2024 werden wir die europäische Olympiaqualifikation in Deutschland haben, die voraussichtlich im Februar oder April 2024 in Berlin stattfinden wird.

Wie Sie sehen, gibt es viele Gespräche über den Turnierkalender für die nächsten zwei Jahre. Wir sind froh, dass wir erfahrene Turnierveranstalter haben, die unsere Großveranstaltungen in Europa ausrichten werden. Es ist wichtig, frühzeitig zu planen, insbesondere jetzt, da unsere MNAs unter finanziellen und organisatorischen Unsicherheiten leiden.

Ein weiteres wichtiges Thema, mit dem wir uns beschäftigen, ist die ETU-Homepage. Wie Sie wissen, hatten wir vor kurzem mit unserem langjährigen Kollegen Kostas Anagnostou, der die ETU-Seite bisher betreute, einen Verlust in der Taekwondo-Familie zu beklagen. In Zukunft wird die Seite von unserem Büro in Deutschland aus betrieben, mit Unterstützung der FITA, die hier über viel Fachwissen verfügt. Sie soll Anfang nächsten Jahres online gehen.

TA: Was ist mit den kleinen Nationen in Europa?

Antonio Barbarino: Unser Ziel ist es, die kleineren Nationen zu unterstützen, die natürlich ein kleineres Budget und gleichzeitig ein vielversprechendes Potenzial an Talenten und Sportlern haben. Dieses Jahr haben wir zum Beispiel zum ersten Mal die Europameisterschaft für kleine Länder in San Marino veranstaltet. Im November dieses Jahres werden wir die Kadetten-Europameisterschaften in Malta ausrichten, weil wir es für wichtig halten, kleineren Nationen Chancen und Motivation zu bieten und ihre Entwicklung zu fördern.

Dies wäre nicht möglich ohne unser erfahrenes Team, das die MNAs unterstützt, nämlich Sportdirektor Ioannis Mouroutsos, Generaldirektor Kenneth Schunken, Büroleiter Christos Pragalos und Kiki Dalamaki, die für unsere Buchhaltung zuständig ist.

TA: Wie sieht es mit den Beziehungen der ETU zu den internationalen Verbänden aus?

Antonio Barbarino: Zunächst möchte ich Kukkiwon-Präsident Dong-sup Lee zu seiner Wiederwahl gratulieren. Präsident Pragalos und ich werden bald ein Treffen mit ihm haben, um ihm persönlich zu gratulieren. Wir wollen auch besprechen, wie die kürzlich von Kukkiwon und WT unterzeichnete Absichtserklärung in Europa in die Praxis umgesetzt werden kann. Wir freuen uns auf die gute Zusammenarbeit mit Präsident Lee, der ein integrer Mann ist, der Kukkiwon und Taekwondo sicher voranbringen wird.

Unterdessen wurde bei WT mit der Ernennung von Jeongkang Seo zum Generalsekretär eine wichtige Personalentscheidung getroffen, zu der ich ebenfalls herzlich gratuliere. Persönlich habe ich sehr gut mit ihm zusammengearbeitet, als er Generaldirektor des WT und ich Schatzmeister der ETU war. Jetzt sind wir als Generalsekretär Kollegen und ich freue mich auf die Fortsetzung der fruchtbaren Zusammenarbeit. Themen, über die wir sehr bald sprechen werden, sind vom WT anerkannte Turniere in Europa, die internationale Ausbildung von Ausbildern und andere.

TA: Da wir uns dem Ende unseres Interviews nähern, gibt es noch etwas, das Sie hinzufügen möchten?

Antonio Barbarino: Ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass die Europäische Taekwondo Union in vielerlei Hinsicht der Wegbereiter des internationalen Taekwondo war. Es stimmt, dass die Situation im Moment schwierig ist. Aber im Laufe der Jahre haben wir ein solides Fundament an Fachwissen, Zusammenarbeit und Fähigkeiten aufgebaut, auf das wir jetzt zurückgreifen können. Ich bin überzeugt, dass wir auch unter veränderten Bedingungen unsere Spitzenposition behaupten werden. Eine Person, der ich ganz herzlich danken möchte, ist unser Präsident Sakis Pragalos, der eine unglaubliche Führungspersönlichkeit ist. Nach so vielen Jahren in der höchsten Position wurde er nie müde, sich um große und kleine Angelegenheiten zum Wohle des europäischen Taekwondo zu kümmern. Es ist inspirierend, mit ihm zusammenzuarbeiten, und ich blicke mit Zuversicht in die Zukunft.