Krafttraining und Beweglichkeit

Jede Menge Kraft gleichzeitig ungemein beweglich sein – das passt für viele von uns nicht zusammen. Doch hält diese Theorie auch einer Überprüfung stand? Unser Autor Kevin Speer beschreibt, welche Auswirkungen das Krafttraining auf die Beweglichkeit hat – und warum auch Taekwondosportler ruhig Gewichte heben sollten!

Müssen wir als Taekwondo-Kämpfer Angst um unsere Beweglichkeit haben, wenn wir der Athletik zuliebe Krafttraining betreiben? Oder gibt es sogar einen positiven Zusammenhang zwischen diesen beiden Extremen? Dieser Artikel gibt eine kleine Zusammenfassung aus dem aktuellen wissenschaftlichen Stand zu dieser Thematik und versucht einen Blick auf Sportarten zu werfen, die genau diese Gegensätze miteinander verbinden.

Gewichtheber versus Bodybuilder

2012 London Olympic Games Mi-Ran Jang of South Korea competes during the women's +75kg event at the London 2012 Olympic Games Weightlifting competition, London, Britain. 2012.08.06. Photo by Korean Olympic Committee Ministry of Culture, Sports and Tourism Korean Culture and Information Service -------------------------------------- 2012 런던 올림픽 여자 +75kg급에 출전한 장미란 선수 사진제공 - 대한체육회 문화체육관광부 해외문화홍보원
Gewichtheber brauchen eine hohe Beweglichkeit. (Photo: Gewichtheberin Miran Jang/Korean Olympic Committee)

Beginnen wir mit denen, die sowohl unfassbare Maximalkräfte erreichen, aber auch eine hohe spezifische Beweglichkeit für ihren Sport aufweisen müssen: Lasst uns in die Sportart des olympischen Gewichthebens bzw. in seiner neuzeitlichen Form des „Crossfit“ schauen. Techniken des Gewichthebens erfordern hohe Bewegungsradien im Schultergürtel und Hüftgelenk, von denen manch ein Taekwondo-Kämpfer nur träumt. Wenn man jemals die Chance hatte, jemanden zu beobachten, der beim „Reißen“ eine über 150 Kilogramm schwere Langhantel über seinen Kopf in der tiefen Kniebeuge-Position hält, der weiß wie wichtig Beweglichkeit in dieser Technik ist. Ist diese nicht gegeben, so können die Hebelverhältnisse des menschlichen Körpers im Bezug zur Hantel überhaupt nicht vollständig genutzt werden. Würde man einen Bodybuilder und einen „Powerlifter“ (das sind die, die versuchen möglichst maximale Gewichte zu heben) gegeneinander antreten lassen, so würde man direkt erkennen woran es den Bodybuildern mangelt. Aber wieso ist der eine, der extrem schwere Gewichte hebt, extrem beweglich und der andere, der ebenso mit hohen Gewichten arbeitet, sehr stark in seiner Beweglichkeit eingeschränkt?

Die Ausführung macht’s

Die Antwort lässt sich recht schnell finden: Es sind nicht zwingend die Übungen, sondern die Ausführung und die Trainingsplanung, die die beiden so stark unterscheidet. Ohne verallgemeinern zu wollen – doch viele der folgenden Punkte treffen auf die meisten Bodybuilder zu. Genau aus diesen Fehlern können wir auch Schlüsse für unser Taekwondo-Krafttraining schließen und uns überlegen wie wir dies trainingsmethodisch umsetzen wollen.

Überlastung führt zu Muskelverkürzung

So erlebe ich immer wieder bei jungen Bodybuildern, dass diese viel zu schnell Gewichte steigern und auf diese Weise ihren Gelenken, Sehnen und Bändern Belastungen zumuten, die diese noch nicht verkraften können. Unsere Muskulatur passt sich Trainingsreizen deutlich schneller an, als die eben genannten Strukturen des passiven Bewegungsapparates. Werden die Gewichte nun zu schnell gesteigert, so kommt es zu Überlastungserscheinungen in diesen Strukturen. Es entstehen Schmerzen, die gerne einmal übersehen werden. Und was noch entscheidender ist: Die alpha- und gamma-Motoneuronen der Muskulatur verändern ihre Aktivierungsfrequenz, was einfach eine erhöhte Spannung in der Muskulatur bedeutet. Die erhöhte Spannung führt von einem Kontraktionsrückstand, also von einem kurzzeitigen Längenverlust des Muskels, bei dem er nicht in seine maximale Ausgangslänge bei Ruhespannung zurück geht, zu einer Muskeldauerverkürzung, sofern dieser keine ausreichenden Pausen bekommt. So kann die Muskulatur nicht ihre gesamte Länge für die Kontraktion ausnutzen, damit fehlen entscheidende Kräfte für beispielsweise Schnelligkeitsleistungen im Sport und so sinkt insgesamt die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems. Für Taekwondo zumindest kein wünschenswerter Zustand, dagegen in der Welt der Körperästhetik ein hinnehmbarer Preis.

Bewegungsreichweite optimal nutzen

Eine schnelle Steigerung des Gewichts geht meist auch mit einem Verlust der Technik einher: Bewegungen werden abgefälscht und oft wird entweder durch Schwung oder Abkürzung der Bewegungsamplitude versucht, mehr Gewicht zu heben – meist fürs eigene Ego. Die Krux bei der Sache ist, dass der Muskel durch seine plastische und visko-elastische Eigenschaft sich immer auch seinem Arbeitswinkel anpasst. Kann also ein Muskel in einem Gelenk, beispielweise der Bizeps im Ellenbogengelenk, einen Winkel zwischen geschätzt 15 Grad bis 180 Grad erzeugen bzw. zulassen und wird beim Training nur von 30 bis 150 Grad genutzt, so passt sich der Muskel diesem Arbeitswinkel an und verkürzt. Heißt für uns, eine Muskelverkürzung entsteht unter anderem dadurch, dass wir nicht die gesamte Bewegungsreichweite nutzen, die uns zur Verfügung steht. Quintessenz für unser Krafttraining wie ich immer und immer wieder betont habe: lange Muskelketten aktivieren!

Mehr Kraftraining – höhere Beweglichkeit

Dies bestätigt auch die Wissenschaft. Eine Studie von Saraiva et. al. aus dem Jahr 2014 an Judo-Kämpfern zeigte, dass allein Krafttraining über zwölf Wochen die Beweglichkeit in nahezu jedem Gelenk deutlich verbesserte. Eine Studie aus dem letzten Jahr dagegen von Carneiro et. al. untersuchte die Entwicklung der Beweglichkeit in Zusammenhang mit einem zwölfwöchigen Krafttraining unter dem Aspekt der Trainingsfrequenz. Dabei zeigte sich, dass die Probanden, die drei Mal wöchentlich trainierten, ihre Beweglichkeit deutlich stärker verbesserten als die, die nur zwei Mal wöchentlich Krafttraining durchführten. Zuletzt zwei Studien aus 2015 von Leite et. al. und Simao et. al., die die vorigen Ergebnisse bestätigten und zudem zeigen konnten, dass ein kombiniertes Kraft- und Beweglichkeitstraining die Verbesserung in der Beweglichkeit im untersuchten Zeitraum maximieren konnten.

Gewichte heben – aber richtig

Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch eine Geschichte von Amerikas berühmtesten Physiotherapeuten und Gründer von M-WOD Dr. Kelly Starrett erzählen. Als einer der ersten US-Amerikaner gründete er ein Crossfit-Studio in San Francisco und trug so dazu bei, dass ein riesiger neuer Trend in den USA entstand, der mittlerweile auch nach Deutschland herüber schwappt. Schwere Kniebeuge, Kreuzheben und Reißen gehörte zu seinem fast täglichen Training, doch er entschied sich eines Tages an einem Yoga-Kurs teilzunehmen, um auch mal etwas Neues auszuprobieren. Neben den vielen Damen machte er sich nicht schlecht, sodass die Kursleitern mitten im Kurs zu ihm kam und ihn für seine Beweglichkeit lobte. Sie fragte ihn, was er machen würde, um so beweglich zu sein; seine Antwort ist im Bereich des Crossfit legendär: „I lift heavy weights“, auf Deutsch „ich hebe schwere Gewichte“ und verließ daraufhin den Kursraum.

Abschließend heißt das also für uns: Krafttraining hilft der Beweglichkeit, wenn Übungen über die gesamte Bewegungsamplitude ausgeführt werden. Auch Krafttraining kann eine potentielle Interventions- bzw. Trainingsmaßnahme sein, um weniger bewegliche Athleten beweglich zu machen. Wie das ganze aussehen könnte haben wir bereits letzten Monat besprochen und werden wir in den nächsten Monaten fortsetzen. Heben deswegen Sie ruhig weiter schwere Gewichte, Sie helfen Ihrem Körper damit in vielerlei Hinsicht!

Text: Kevin Speer, Foto: Denis Sekretev / Korean Olymic Committee

Zum Autor:

Kevin Speer studiert „Sport und Leistung“ an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Er ist seit über 13 Jahren begeisterter Taekwondo-Sportler und seit vier Jahren als Trainer aktiv.

Wer mehr von Kevin Speer lesen will, sollte seinen neuen Blog besuchen: Unter

https://coachacademy.wordpress.com bietet er jeden Tag einen aktuellen Beitrag rund um das Thema Leistungsfähigkeit, Gesundheit und Training für Coaches, Athleten und jeden, der sein Leben optimieren will!

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