Aus unserer Mai-Ausgabe: Beobachtungen aus dem Taekwondo-Leistungssport – Jannis Dakos im Interview

Deutschland hat ein Trainerproblem: Immer weniger gut ausgebildete Fachleute sind bereit, sich mit zeitlich befristeten, oft schlecht dotierten Trainerstellen zufrieden zu geben – und dabei auch noch vom Wohlwollen ehrenamtlicher Vorgesetzter abhängig zu sein.

Gleichzeitig hat sich ein Verband, der über keinen einzigen hauptamtlichen Trainer verfügt, zum Shooting-Star in der Taekwondo-Szene entwickelt: Zwei Jahre nach ihrer Gründung hat die Taekwondo Union Nordrhein-Westfalen (TU NRW) bereits eine Spitzenposition im deutschen Leistungssport. So kamen bei den diesjährigen Junioren-Weltmeisterschaften vier von 16 deutschen Athleten aus der TU NRW. Zahlreiche Medaillen bei Weltranglistenturnieren sowie der Junioren-EM Titel von Madeline Folgmann und Bronzemedaille von Laura Göbel bei der Junioren-WM untermauern die hervorragende Bilanz des jüngsten Taekwondo-Verbands in Deutschland – den es aus Sicht des Dachverbands eigentlich gar nicht geben dürfte.

Könnte es also sein, dass neue Strukturen erfolgversprechender sind, als teils über Jahrzehnte gewachsene?

Wir sprachen mit Sportwissenschaftler Jannis Dakos aus dem Trainerteam der TU NRW über den neuen Verband – und darüber dass sich der ehemalige langjährige Landestrainer beruflich neu orientiert hat.

TA:      Jannis, Du warst zehn Jahre lang Landestrainer der Nordrhein-Westfälischen Taekwondo Union (NWTU). Im Zuge der Verbandsstreitigkeiten 2016 hast Du Deine Stelle verloren. Auch als Vereinstrainer hast Du – wie auch viele Deiner Kollegen in NRW – denn „sicheren Hafen“ NWTU verlassen und hast Dich einem neu gegründeten Verband angeschlossen, der TU NRW. Das klingt alles erst Mal ziemlich problematisch. Hatte es im Rückblick auch Vorteile?

Jannis Dakos: Ja, absolut. In einem großen Verband hat man es als Trainer häufig schwer, neue Strukturen durchzusetzen – die aber im Taekwondo-Leistungssport, so wie er sich heute darstellt, sachlich und rational unabdingbar geworden sind. Als angestellter Trainer hat man oft keine anderen Wahl: Man will es auf politischer Ebene jedem Recht machen und muss dabei Kompromisse in Kauf nehmen, die zu Lasten der sportlichen Effektivität gehen.

Diese Entwicklungsbarrieren haben wir in der TU NRW nun durchbrochen, sind schneller, flexibler, fokussieren uns auf das Wesentliche und treffen ausschließlich erfolgsorientierte Entscheidungen. Was wir tun bestimmt, wer wir sind, und unsere Ergebnisse sprechen für sich: Wir haben heute mit weniger Vereinen mehr Erfolge als früher.

TA: Du kennst beides aus nächster Nähe, den konventionellen, gewachsenen Verband und die innovative Neugründung. Wo liegen die wichtigsten Unterschiede?

Jannis Dakos: Als erstes muss man sich bewusst machen, dass unser Team zwar einen neuen Namen trägt, der Kern des Leistungssportpersonals aber der gleiche ist, der im alten Verband für das sportliche Grundgerüst mit zahlreichen Erfolgen gesorgt hat und heute noch bestens vernetzt ist.

Wir verfügen als Verband aktuell über keinerlei finanzielle Mittel oder offizielles Trainerpersonal, um unsere Sportler noch effektiver zu unterstützen.

Dies haben wir allerdings nie als Ausrede akzeptiert, waren konstruktiv, haben kreative Lösungen gefunden und hervorragende Ergebnisse erzielt. Als Lösungsdenker sehen wir Möglichkeiten, nicht die Hindernisse auf unseren Weg.

Unsere Erfahrung der letzten Jahre war von Anfang an ein sehr guter Nährboden für die Entwicklung des Verbandes. Wir investieren unsere Ressourcen da, wo nachweislich erfolgreich und effektiv gearbeitet wird und nicht da wo man es gerne hätte, wie in der Vergangenheit.

Von unzeitgemäßen Strukturen, die von der Komplexität und Dynamik unserer olympische Sportart schon lange überholt wurden, haben wir uns sofort verabschiedet und dadurch mehr Klarheit und Handlungsräume für wirksame Maßnahmen geschaffen.

TA: Könntest Du uns einige praktische Beispiele geben: Wie seid Ihr das angegangen? Ein Problem waren doch sicher die fehlenden Finanzen?

Jannis Dakos: Das ist richtig. Taekwondo gilt zwar als günstiger Sport, aber das ist es im Leistungssportbereich schon lange nicht mehr. Man kann allein pro Turnierbesuch und Sportler durchschnittlich mit etwa 250 bis 350 Euro Kosten rechnen. Die müssen getragen werden: Vom Verband, vom Verein und vom Sportler selbst oder seinen Eltern. Man muss als verantwortlicher Trainer ehrlich zum Sportler sein: Wenn Verein und Familie nicht hinter der Sache stehen, wird es schwierig. Bleibt der Anteil des Verbands, der bei uns momentan weggebrochen ist. Hier sind wir von Anfang an aktiv geworden und haben uns Unterstützung von anderen Stellen gesucht, sei es von Sponsoren oder Institutionen in NRW. Wir haben härter gearbeitet und alle Ressourcen ausgeschöpft.

TA: Du sprichst von Strukturen, die nicht mehr zeitgemäß waren. Welche sind das zum Beispiel?

Jannis Dakos: Zehn Jahre als Landestrainer waren eine lange, lehrreiche Zeit.  Eine klare Erkenntnis aus der Zeit ist, dass ich nun sehr genau weiß, was umsetzbar ist und was nicht. Ebenso, welche Vorgänge langfristig gewinnbringend für einen Verband sind und welche einfach inhaltsleere Floskeln, die nur eine in der Theorie gut klingenden Konzeption ohne Realitätsbezug darstellen.

Ich habe es zum Beispiel oft erlebt, dass Vereine viele talentierte Nachwuchssportler hatten. Diese Vereine sind aber nie bei Turnieren im Seniorenbereich aufgetaucht und die Sportler sind mit den Jahren alle verschwunden.

Viele Vereine haben gar nicht die Kapazitäten, ihre Sportler an die Spitze heranzuführen – ehrenamtliches Personal kann das heute kaum noch leisten. Wenn ich als Landestrainer aber gesagt hätte, wir machen Leistungszentren da, wo die meisten Leistungsträger sind und dorthin schickt Ihr dann Eure Talente, dann wäre das schlecht angekommen und bei der nächsten Wahl hätten sich viele Vereine abgewendet. Das Risiko wollte niemand eingehen. Rationale Expertenentscheidungen werden von der Masse häufig nicht verstanden oder akzeptiert und der politische Gegenwind lähmt häufig zwingend nötige sportliche Entwicklungen.

TA: Was macht Ihr in der TU NRW nun anders?

Jannis Dakos: Als TU NRW konzentrieren wir uns auf die Standorte, welche die Rahmenbedingungen erfüllen, um Talente langfristig sportlich aufzubauen und dual zu betreuen.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass auch die besten Talente verloren gehen und aufhören werden, wenn man sich nicht rechtzeitig um ihre duale Planung kümmert und sie zeitintensiv betreuen kann.

Ein Beispiel in Bezug auf die Nachwuchstalente aus NRW, das mir direkt in den Sinn kommt, sind die Teilnehmer der Kadetten WM 2014, die jetzt in den Seniorenbereich wechseln werden. Alle Sportler, die nicht in der heutigen TUNRW sind haben in der Zwischenzeit aufgehört. Alle TUNRW Sportler sind noch aktiv und erfolgreich.

Für die Nachwuchsstützpunkte und Leistungszentren in der TU NRW haben wir transparente Vergabebedingungen entwickelt. Jeder Verein kann es aus eigener Kraft schaffen, sich als Stützpunkt zu etablieren, wenn er diese Bedingungen erfüllt. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine unglaubliche Motivation.

TA: Auch wenn es nun schon zwei Jahre her ist: Wie hast Du persönlich den Umsturz in der NWTU erlebt, der ja auch der Anfang war für die TU NRW?

Jannis Dakos: Ich hätte mir gewünscht dass es nicht soweit gekommen wäre und dass alle Verantwortlichen den Sport über Persönliches gestellt hätten – dies ist leider nicht passiert.

Man hat im Jahr 2016 eine vereint starke und gut funktionierende NWTU von außen attackiert und mit haltlosen Anschuldigungen Stimmung gegen das damalige Präsidium gemacht.

Die gewählte Taktik hieß „Teilen und Herrschen“. Dass man sich jetzt aber darüber empört, dass es zwei geteilte Lager gibt und dies nicht als Konsequenz der eigenen Handlungen erkennen will, wundert mich sehr.

Die Diskussion und der Rechtstreit darüber, ob man einen zweiten Verband in NRW haben will oder nicht, sind heute irrelevant. Den Verband gibt es schon seit zwei Jahren. Das muss man akzeptieren, um nach vorne zu schauen und das Beste für den deutschen Taekwondosport anzustreben.

Man darf nicht vergessen: Starke Leistungen der TU NRW-Athleten sind gut für die DTU. Auch in der Vergangenheit haben unsere Vereine mehrere WM- und Euro-Titel, sowie zahlreiche Medaillen für Deutschland hervorgebracht.

Die Frage, ob es nun zweckdienlich und in Sinne des deutschen Taekwondo-Sports ist, diese Potentiale in den eigenen Reihen mit allen Mitteln zu bekämpfen, lass ich gerne durch alle mit einem gesunden Menschenverstand beantworten. „

Und diese Entwicklung ist ja auch auf Bundesebene zu beobachten: Dass erfolgreiche und erfahrene Trainer eine gut ausgebaute Infrastruktur, sei es nun in Bonn, in Ingelheim oder in Friedrichshafen, nicht in der DTU eingebunden werden, sondern man lieber in Kauf nimmt, dass sie Leistungsträger aus dem Ausland ausbilden, ist unverständlich. Eine gute Führung sollte Menschen zusammenbringen, nicht trennen.

TA: Wir haben viel über den Leistungssport gesprochen. Der klassische Landesverband und der Bundesverband sind neben dem Leistungssport aber auch für den Breitensport zuständig. Ist dieses Nebeneinander heute noch sinnvoll?

Jannis Dakos: Bei einer verantwortungsbewussten Führung sicherlich. Aber in der Taekwondo-Realität stellt es sich eher so dar, dass der Leistungssport zwar das Aushängeschild ist, der Breitensport aber über eine größere Lobby verfügt und mehr Stimmen in den Verbänden auf sich vereinen kann. Das Ehrenamt kontrolliert das Hauptamt und der Breitensport letzten Endes den Leistungssport. Nur so kann ich es mir erklären, wenn in Verbandsführungen ohne jede Konsequenz Entscheidungen getroffen werden, die den Interessen des Leistungssports klar zuwider laufen.

TA: Du persönlich hast Dich beruflich umorientiert und dem Trainerjob in Deutschland den Rücken gekehrt. Du bist nun Leistungssportkoordinator im Rhein-Kreis Neuss und koordinierst die sportliche Entwicklung einer Region mit zwei Bundes- und 13 Landesstützpunkten. Warum hast Du diesen Weg gewählt?

Jannis Dakos: Die Rahmenbedingungen für eine optimale Arbeit eines hauptamtlichen Trainers sind aktuell in Deutschland nicht gegeben. Durch zeitlich befristete Knebelverträge werden die Trainer häufig zu Jasagern degradiert und dem Wohlwollen einer ehrenamtlich agierenden Führung ausgesetzt.

Ich bin einfach nicht der Mensch, der blinde Gefolgschaft leistet und keine Kritik äußert wenn klare Missstände offensichtlich sind. Fehler müssen sofort angesprochen werden wenn man diese beheben will. Alles andere bedeutet im besten Fall Stillstand im häufigsten Fall hat es eine rückschrittliche Entwicklung zur Folge.

Aus der Situation habe ich meine Konsequenzen gezogen, habe mir neue berufliche Perspektiven gesucht und die Zeit außerdem genutzt und ein zweites Studium absolviert – im nächsten Jahr mache ich meinen Abschluss in Betriebswirtschaft. Ich möchte in Zukunft unabhängig sein, von solchen Entwicklungen, wie ich sie als angestellter Trainer erlebt habe. Im Rückblick muss ich sagen, dass die Entwicklung zwar traurig war für den Taekwondosport, dass ich aber in gewisser Weise sogar dankbar bin für diese Erfahrung. Ich bin dadurch weitsichtiger geworden, habe unglaublich viel gelernt und habe mich persönlich weiter entwickelt.

TA: Könntest Du Dir vorstellen, der TU NRW zu einem späteren Zeitpunkt wieder als hauptamtlicher Landestrainer zur Verfügung zu stehen?

Jannis Dakos: Ich bin überzeugt von der Arbeit der TU NRW und stehe ihr als Trainer selbstverständlich weiterhin zur Verfügung – aber nicht mehr hauptamtlich.

TA: Dankeschön für dieses Gespräch.