Schnelligkeitstraining

Ein wissenschaftlicher Ansatz an ein komplexes Thema
Von Kevin Speer

Um herauszufinden, wie wir Schnelligkeit trainieren können, müssen wir zunächst die Komponenten ausfindig machen, die diese Fähigkeit ermöglichen oder zu ihr beitragen. Dafür schauen wir uns zuerst eine Definition von Schnelligkeit an:

„Schnelligkeit bei sportlichen Bewegungen ist die Fähigkeit auf einen Reiz bzw. auf ein Signal hin schnellstmöglich zu reagieren und/oder Bewegungen bei geringen Widerständen mit höchster Geschwindigkeit durchzuführen“

Diese doch schon ältere Definition gibt uns einen ersten Einblick auf welche Faktoren wir im Schnelligkeitstraining achten sollten. Auf einen Reiz schnellstmöglich reagieren zu können, ist nach heutiger Definition eher unter dem Begriff Agilität zusammenzufassen und umfasst ein viel komplexeres Fähigkeiten-System. Es geht dabei um den physischen Aspekt (abbremsende und beschleunigende Kräfte erzeugen), den kognitiven Aspekt (Situation erkennen und die passende Antwort auswählen) und den taktischen Aspekt. Das ist der Erste Teil der Schnelligkeitsleistung, der Zweite ist die Ausführung von Bewegungen mit höchster Geschwindigkeit, wie es in der Definition bereits genannt wird. Beide Faktoren gilt es nun spezifisch in Bezug auf wettkampf-orientierte Situationen zu übertragen und zu entwickeln.

 

Zwickmühle der Sportwissenschaft

Die in der TA Februar Ausgabe 2017 gezeigte Variante des Single-Leg Snatch ist ein perfektes Beispiel für eine Übung, die sich auf den zweiten Teil der Definition konzentriert. Genau diesen Teil der Schnelligkeitsleistung möchten wir betrachten. Gegen einen geringen Widerstand ausgeführt ist diese Übung eine optimale Wahl für die Entwicklung der Schnellkraft. Doch warum eine geringe Last? Ist eine schwere Last ungeeignet dafür? Dazu gibt es nur eine Antwort: Doch! Beides sollte auch genutzt werden für eine optimale Entwicklung der Schnelligkeit. Wie lässt sich dies erklären, da wir doch bei Kicks keinem maximalen Widerstand ausgesetzt sind?

Die Antwort ist genauso vage wie unzufrieden stellend, doch leider konnte die Sportwissenschaft in diesem Bereich noch nicht alle Einflussfaktoren messen und einschätzen. Zum einen wollen wir eine möglichst schnelle Ausführung einer Kraftübung, da Kraft sich geschwindigkeits-spezifisch entwickelt. Kraft als absolute Grundlage für die konditionelle Fähigkeit der Schnelligkeit darf und muss hier einen hohen Stellenwert eingeräumt bekommen! Hohe Geschwindigkeiten erreichen wir jedoch nur mit geringen Lasten, da nach der sogenannten „Kraft-Geschwindigkeits-Beziehung“ die Geschwindigkeit der Bewegungsausführung kontinuierlich sinkt, je mehr Last wir überwinden müssen. Das allein reicht jedoch nicht um eine Kontroverse auszulösen, dazu kommt es erst, wenn das Hennemann’sche Prinzip der Muskelfaserrekrutierung hinzugezogen wird. Dieses Prinzip besagt, dass wir die schnellzuckenden Fasern unserer Muskulatur nur aktiveren können, wenn wir mit sehr hohen Widerständen arbeiten. Bleiben wir bei niedrigen Lasten, so braucht der Körper keine schnell-zuckenden Fasern zu aktivieren, bleibt ökonomisch und aktiviert lediglich die langsam-zuckenden und energiesparend arbeitenden Muskelfasern. Wie man sieht, eine ziemliche Zwickmühle in der Sportwissenschaft.

 

Voraktivierung für mehr Schnellkraft

Glücklicherweise gibt es jedoch bereits erste Ansätze, um diesem Problem aus dem Weg zu gehen und beide Herangehensweisen für eine optimale Entwicklung zu kombinieren. Stichwort ist hierbei die „Post-Activation Potentiation“. Dieses Prinzip beschreibt den Effekt, dass nach einer kurzzeitigen Voraktivierung der Muskulatur eine Erhöhung der Schnellkraft nach einer angemessenen Pause folgt. Praktisch gesehen könnte es folgendermaßen umgesetzt werden: Ich lasse meinen Athleten mit etwa 90 Prozent seiner maximalen Leistung in der Kniebeuge diese mit eins bis drei Wiederholungen durchführen, gebe ihm eine kurze Pause und nutze danach die erhöhte Schnellkraft und lasse ihn auf einer Bahn beispielsweise möglichst maximal schnelle Kicks durchführen. Durch die hohe Last zu Beginn aktivieren die schnellzuckenden Fasern, durch die Bahn mit den schnellkräftigeren Kicks erzeugen wir die geschwindigkeits-spezifischen Verbesserungen.

Leider lassen sich keine wissenschaftlichen Untersuchungen im direkten Bezug auf solch einen Effekt im Taekwondo finden, jedoch ist dies im Sprint eine bereits sehr anerkannte und gründlich untersuchte Methode. Noch effektiver zeigten sich Tief-Hoch-Sprünge, oder auch „Drop Jumps“ genannt, als Voraktivierung. Dabei wird von einem niedrigen Kasten beispielsweise einbeinig herabgesprungen und direkt wieder mit einer möglichst kurzen Bodenkontaktzeit auf einen kleinen Kasten nach vorne hinaufgesprungen.

Das Nutzen der Post-Activation Potentiation zeigt hierbei bereits in kurzen Zeiträumen (etwa zwei bis vier Minuten) erhöhte Schnellkraft-Werte, die direkt in die sportliche Leistungsfähigkeit umgesetzt werden können. Auf verschiedenen Sprint-Strecken fand man sogar Verbesserungen bis um eine Zehntel-Sekunde, welche im Hochleistungsbereich deutliche Vorteile mit sich bringen kann!

Dies ist eine neurophysiologische Art der Anpassung der Leistungsfähigkeit, in der Struktur ändert sich in diesem kurzen Zeitraum nichts; jedoch können wir durch die kurzfristige Leistungssteigerung neue Reize setzen und so eine langfristige strukturelle Anpassung in Gang setzen und fördern.

Weitere Infos kannst du zu diesen Themen auf meiner Homepage www.develop-athletes.com erhalten.