In memoriam Dr. Dirk Jung

In memoriam

Dirk Jung

1. Mai 1956 – 7. November 2019

Am 7. November ist Dr. Dirk Jung nach schwerer Krankheit verstorben. Für die Taekwondo-Gemeinde kam sein Tod völlig unerwartet und hat große Bestürzung ausgelöst. Dirk Jung war eine der erfolgreichsten und vielseitigsten Persönlichkeiten des deutschen Taekwondo: Weltmeister (1982), zweifacher Europameister (1978 und 1980), Bundestrainer (1985 bis 1988) und Verbandarzt (1992 bis 2004). Durch seine eindrucksvolle sportliche wie berufliche Karriere war er ein Aushängeschild des deutschen Taekwondo und ein großes Vorbild.

Zur Erinnerung veröffentlichen wir hier ein Interview aus dem September 2011. 

Dr. Dirk Jung ist in mancherlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Taekwondo. Er ist einer von nur vier (heute sechs) deutschen Weltmeistern. Doch er ist auch der deutsche Sportler mit den meisten WM-Medaillen im Vollkontaktbereich der Senioren – drei Stück – und er war ungewöhnlich lange im Verband aktiv: Zwischen seinem ersten Auftritt in der Nationalmannschaft bei der Euro 1976 und seinem Abschied als Verbandsarzt 2004 liegen immerhin 28 Jahre. Dazu ist er auch noch besonders vielseitig: Er war nicht nur als Sportler und Mediziner, sondern zwischen 1985 und 88 auch als Bundestrainer tätig. Es gibt also viele gute Gründe für ein Gespräch.
Chicago 1977 – mit Rainer Müller
TA: 1982 wurden Sie in Ecuador Weltmeister. Was hat Ihnen dieser Titel damals bedeutet?

Dirk Jung: Weltmeister zu werden war mein Lebensziel. Ich war schon 1977, bei der WM in Chicago, wo ich Bronze gewonnen hatte, dicht daran gewesen, und ich wusste, ich kann es schaffen. Der Titel hatte damals eine sehr große Bedeutung für mich.

TA: Und wie ist es heute?

Dirk Jung: Ich stelle fest, dass der Titel auch heute noch eine hohe Wertschätzung erfährt, gerade von meinen Patienten. Auf der Homepage meiner Praxis gibt es auch eine Seite, auf der meine sportliche Laufbahn dargestellt wird. Ich wollte das erst nicht, aber meine Agentur, die die Homepage gemacht hat, überredete mich dazu – und sie hat recht behalten. Die Kompetenz im Sport wird von vielen Patienten auf meine Kompetenz als Arzt übertragen. Mir fällt auch auf, dass der Titel zeitlos ist – mich hat nie jemand gefragt: „Wann war das eigentlich?“. Meistens sage ich gleich selber: „Das ist lange her.“

TA: Sie haben während Ihrer aktiven Zeit mit vielen Turnierteilnahmen und zahlreichen Erfolgen – neben den WM-Medaillen haben Sie auch zwei Europameistertitel und mehrere Deutsche Meistertitel erkämpft – Ihr Medizinstudium absolviert. Wie konnten Sie beides vereinbaren und welchen Rat geben Sie Sportlern, die heute vor der Entscheidung „Leistungssport oder Karrieren“ stehen?

Dirk Jung: Ich bin ein sehr strukturierter Mensch und habe während meines Studiums meinen Tagesablauf minutiös geplant. Zeit ist eigentlich genug: Wenn man acht Stunden schläft und acht Stunden arbeitet oder studiert bleiben ja noch acht Stunden übrig – da sollte es kein Problem sein, genug Zeit fürs Training zu finden. Eine straffe Planung ist auch mein Rat, um Sport und Studium zu vereinbaren. Man sollte dabei allerdings mit kleinen zeitlichen Verwerfungen rechnen: Ich selbst habe ein halbes Jahr länger studiert als eigentlich nötig gewesen wäre, weil ich unbedingt mit dem Nationalteam ein Turnier in Taiwan besuchen wollte. Dafür habe ich mein Physikum , welches zeitgleich stattgefunden hätte, um sechs Monate verschoben .
Dirk Jung beim Sportlereid – WM 1979 in Sindelfingen
TA: Was hat Ihnen der Sport damals gegeben?

Dirk Jung: Der Sport war für mich nicht zuletzt ein Ausgleich zum Studium: Das Training war etwas, auf das ich mich voll konzentrieren konnte und auf das ich mich auch gefreut habe. Es gab auch Rückschläge, wie die Weltmeisterschaft 1979 in Sindelfingen, wo ich im Viertelfinale ausgeschieden bin. Aber ich wusste, dass ich ganz vorne mitspielen kann und diesen Traum wollte ich mir erfüllen.

TA: Was war Ihre Trainingsphilosophie, die Sie zum Erfolg geführt hat?

Dirk Jung: Zunächst ganz einfach ein hohes Trainingspensum mit 10 bis 14 Einheiten in der Woche. Außerdem habe ich sehr früh angefangen, Erkenntnisse aus anderen Sportarten zum Beispiel zum Kraftaufbau, zur Schnelligkeit oder zur Trainingsstruktur zu nutzen und mir gezielte Trainingspläne erstellt – Untersuchungen zum Taekwondo gab es damals kaum. Schließlich waren auch gute Trainer wichtig, wie Gerd Gatzweiler  und Gerhard Füg vom RSC Essen und später der damalige Bundestrainer Soo-Nam Park.

TA: Sie waren als Leistungssportler, Bundestrainer und Verbandsarzt tätig – was war die anstrengendste Tätigkeit?

Dirk Jung: Am stressärmsten war jedenfalls Verbandsarzt, gefolgt vom Leistungssportler.  Bundestrainer war kein einfaches Amt, wobei ich den Posten vermutlich auch zu einem ungünstigen Zeitpunkt übernommen hatte. Die Aufgabe war reizvoll und wir hatten Erfolge, wie den Weltmeistertitel von Michael Arndt und zwei Europameister in Seefeld. Aber ich war damals schon Assistenzarzt und ich brauchte oft Sonderurlaub, meine Kollegen mussten Rücksicht auf mich nehmen – auf Dauer wäre das nicht gut gegangen. Aus ähnlichen Gründen habe ich 2004 auch als Verbandsarzt aufgehört: Zwei große Turniere jährlich und dazu viele Wochenend-Einsätze – irgendwann war das einfach zu viel.
WM 1983 mit Soo-Nam Park, Richard Schulz und Georg Karrenberg
TA: Wie ist Ihr Abschied vom Leistungssport verlaufen?

Dirk Jung: Eigentlich wollte ich nach der Weltmeisterschaft 1982 aufhören. Aber Soo-Nam Park hat mich überredet, 1983 noch einmal zu starten, weil er überzeugt war, ich sei der einzige, der zu diesem Zeitpunkt  Henk Meijer aus den Niederlanden schlagen könnte. Das habe ich auch getan, in einem dramatischen Halbfinale, musste dann aber im Finale dem Koreaner Seon-Hwa Jang den Vortritt lassen. Der Abschied selbst war leise und nicht schmerzhaft. Ich war ja weiter als Trainer tätig, zunächst als Heimtrainer in Düsseldorf und Stützpunkttrainer.

TA: An was erinnern Sie sich heute besonders lebhaft, wenn Sie an Ihre aktive Zeit zurückdenken?

Dirk Jung: Da sind viele Kleinigkeiten, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Wir haben damals oft improvisiert. Als Medizinstudent war ich meistens auch halboffizieller Mannschaftsarzt – für einen richtigen Teamdoktor war in den frühen Jahren kein Budget da. Wir Sportler mussten gelegentlich Geld aus eigener Tasche zuzahlen, wenn ein großes internationales Turnier anstand. Nach Taiwan sind wir ohne Trainingsanzüge gereist, die haben wir uns dann dort für 20 Mark schneidern lassen. Die Anzüge kamen in letzter Sekunde und haben nicht besonders gut gepasst. Am Ende hat aber alles irgendwie funktioniert und es hat viel Spaß gemacht.

TA: Sie waren sehr lange dabei und haben Taekwondo aus den unterschiedlichsten Perspektiven erlebt, auch als Arzt. Ist Taekwondo ein gesunder Sport?

Dirk Jung: Wenn richtig dosiert und sinnvoll trainiert wird und gute Trainings-Kenntnisse vorhanden sind, ist Taekwondo durchaus ein gesunder Sport. Reines Wettkampf-Taekwondo hingegen stellt eine sehr hohe Belastung für den Körper dar. Wer ohne Blessuren daraus hervorgehen möchte, sollte entsprechende Maßnahmen ergreifen – nicht nur spezifisch trainieren sondern auch Prävention betreiben, zum Beispiel durch gezielten Muskelaufbau.

TA: Was machen Sie heute?

Dirk Jung: Seit 2000 habe ich eine Privatpraxis für Chirurgie, Sportmedizin und Chirotherapie im Zentrum von Berlin. Meine Praxis befindet sich in einer Privatklinik, in der ich Belegbetten habe. Ich behandle das komplette orthopädische Spektrum, wobei mein Schwerpunkt Erkrankungen von Schulter und Ellbogen sind. Außerdem bin sich seit mittlerweile 19 Jahren Turnierarzt beim ATP-Tennisturnier der Professionals, „Gerry Weber Open“,  das jährlich in Halle/Westfalen ausgetragen wird.

TA: Betreiben Sie heute noch Sport?

Dirk Jung: Taekwondo nur sehr reduziert, manchmal gebe ich auch Training im Freundeskreis. Ich bin aber nach wie vor sportlich aktiv. Ich finde, ein Sportmediziner sollte auch aussehen wie ein Sportler, um authentisch zu sein.
Am Rheinufer in Düsseldorf, 1984
TA: Auf Ihrer Homepage schreiben Sie, dass viele Erfahrungen, die Sie als Leistungssportler sammeln konnten, Sie als Mediziner prägen – welche sind das?
Dirk Jung: Das sind  vor allem die Tugenden des Sportlers: konsequentes, zielorientiertes, strukturiertes Arbeiten und viel Fleiß. Als Sportler habe ich gelernt, dass Talent allein nicht ausreicht, um erfolgreich zu sein. Es sind aber auch menschliche Eigenschaften, die mir der Leistungssport Taekwondo vermittelt hat: Der Respekt vor den Gegnern und den Mannschaftskollegen, die Hochschätzung von anderen, die ich heute meinen Patienten entgegen bringe.

TA: Ihre Zeit als Leistungssportler hat also auch heute noch eine Bedeutung für Sie?

Dirk Jung: Ja, heute sogar mehr als früher. In den ersten Jahren bin ich zum Alltag übergegangen. Meine aktive Zeit war ein neutrales Feld für mich, sie war eben vorbei. Aber mit den Jahren werden mir verstärkt Erinnerungen und Erfahrungen aus dieser Phase bewusst. Ich bin heute sehr stolz auf das, was ich damals erreicht habe.

TA: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Dr. Dirk Jung

Sportliche Erfolge:
1977 WM-Dritter (+ 80 kg, WM Chicago)
1978 Europameister (+ 80 kg, EM München)
1980 Europameister (- 84 kg , EM Esbjerg)
1982 Weltmeister (+ 84 kg, WM Guayaquil)
1983 Vizeweltmeister (+84 kg, WM Kopenhagen)
Fünffacher deutscher Meister (1976 – 80)

Bundestrainer von 1985 – 1988

Verbandsarzt von  1992 - 2004