„Die Zukunft von Para-Taekwondo ist strahlend.“ Chakir Chelbat

Interview mit Chakir Chelbat
Vorsitzender des Para-Taekwondo-Komitees von World Taekwondo
Technischer Delegierter für Taekwondo bei den Tokyo Paralympics 2020/21
Referee Chairman für World Taekwondo Europe

Da die Vorbereitungen für die Paralympischen Spiele in Tokio in vollem Gange sind, ist Chakir Chelbat unglaublich beschäftigt. Wir freuen uns, dass wir dennoch die Chance hatten, mit ihm über die Entwicklung von Para-Taekwondo und über sein Engagement zu sprechen.

TA: Seit 2017 sind Sie bei World Taekwondo für Para-Taekwondo verantwortlich, zunächst als Vorsitzender des Para Technical and Referee-Komitees und jetzt als Vorsitzender des Para-Taekwondo-Komitees. Was sind Ihre Hauptaktivitäten?

Chakir Chelbat: Bevor ich zum Vorsitzenden des WT Para-Taekwondo-Komitees ernannt wurde, war ich seit 2010 WT Referee-Chair und ich bin gleichzeitig Vorsitzender des WTE-Kampfrichterkomitees. Unter der Leitung von Präsident Dr. Choue und Präsident Pragalos gab es so viele Aktivitäten, dass ich reichlich Gelegenheit hatte, Erfahrungen und Wissen zu sammeln. 2017 war meine letzte Weltmeisterschaft als WT-Referee-Chair und danach beschloss Präsident Choue, mir eine neue Gelegenheit zu geben, der Taekwondo-Community als Vorsitzender des Para-Taekwondo-Komitees zu dienen. Para-Taekwondo war neu für mich und ich musste viel lernen. Ich musste mehr über die Para-Bewegungen, ihre Regeln, Klassifikationen und so weiter erfahren. 2018 wurde ich von WT zum Technical Delegate für die Para-Taekwondo-Wettbewerbe der Paralympischen Spiele 2020 in Tokio ernannt. Ich bin froh zu sagen, dass ich ein sehr gutes Team habe. Ich arbeite eng mit meinem Kollegen Usman Dildar und allen anderen Mitgliedern des WT Para-Komitees zusammen. Präsident Dr. Choue trug uns auf, Bildungsprogramme für Para zu erstellen und alle Beeinträchtigungen, die vom Internationalen Paralympischen Komitees erfasst sind, im Rahmen des WT Para-Taekwondo-Programms zu integrieren. Zusammen mit Usman Dildar entwickelte ich ein Coach-Verwaltungs-Statut, Coach-Zertifizierungskurse (drei Stufen), ein Prüfer-Statut, Prüfer-Zertifizierungskurse, einen Promotion-Test-Lehrplan, mehrere andere Ausbildungskurse, MNA-Workshops und mehr – alles Para-spezifisch.
Die oben genannten Punkte, Statuten und Änderungsvorschläge wurden bereits vom WT-Council genehmigt, und einige andere Punkte, wie die Klassifizierung von Athleten ,werden auf der nächsten Councilsitzung im Oktober vorgestellt.
Wir konzentrieren uns stark auf die Verbreitung von Wissen und auf Bildung. Alle Kurse finden vorerst online statt. Dies ist aber sogar ein Vorteil für die Teilnehmer, da es sehr kosteneffizient ist.
Ich bin stolz zu sagen, dass wir in vielerlei Hinsicht Geschichte schreiben konnten. Zum Beispiel haben wir diese Woche den ersten WT Para-Taekwondo International Coach Certification Course durchgeführt, an dem 73 Trainer aus 26 Ländern teilnahmen. Der Kurs war für Trainer aus Europa gedacht, aber wir haben auch andere zugelassen. Veranstaltungen für Afrika, PanAm, Asien und Ozeanien werden in den nächsten drei Wochen folgen.
Wir haben auch einen Para-Taekwondo-Newsletter initiiert, mit dem wir unsere MNAs erreichen und sie ermutigen, sich für Para-Taekwondo zu engagieren – von der Basis bis zum Hochleistungssport. Wir geben ihnen viele Informationen, beraten und präsentieren die bestehenden Para-Aktivitäten in allen MNAs und kontinentalen Verbänden. Dafür haben wir von unseren Stakeholdern ein sehr positives Feedback erhalten.

TA: Sie haben den Para-Taekwondo International Coach Certification Course erwähnt. Ist dieses Zertifikat völlig unabhängig von der Trainerzertifizierung für unversehrte Sportler? Und was sind die wichtigsten Bereiche, die Sie den Trainern beibringen?

Chakir Chelbat: Die Para Coach-Zertifizierung unterscheidet sich vollständig von der Standard-Coach-Zertifizierung. Tatsächlich ist Para-Taekwondo ein sehr komplexes Gebiet, da World Taekwondo alle zehn Arten von Beeinträchtigungen umfasst, die dem Internationalen Paralympischen Komitee unterstehen. Dies schließt Sportler mit visuellen, intellektuellen, neurologischen und physischen Beeinträchtigungen, Sportler im Rollstuhl, Gehörlose (bei Poomsae und Kyorugi) und kleinwüchsige Sportler mit ein.
Trainer müssen berücksichtigen, dass jeder Athlet seine persönliche Geschichte hat. Zum Beispiel ist es ein großer Unterschied, ob der Athlet mit der Beeinträchtigung geboren wurde oder sie aufgrund einer Krankheit, eines Traumas oder aus anderen Gründen erworben hat. In Zukunft wird ein Para-Taekwondo-Trainer mehr Wissen darüber haben, wie man mit Athleten mit unterschiedlichen Behinderungen arbeitet.
Die Hauptwissensbereiche, die wir den Trainern vermitteln, sind die Geschichte von Para-Taekwondo, Regeln und Vorschriften, Ethikkodex, Klassifikationen, biologische und psychologische Aspekte. Es gibt drei Stufen von Zertifikaten: Stufe 1 erlaubt einem Trainer bei nationalen und G1-Turnieren zu coachen, Stufe 2 fügt G2 und G4 hinzu und Stufe 3 gilt für G8, G12 und G20 (Paralympische Spiele). Die Ausbildung der Stufen 1 und 2 wird in diesem Jahr abgeschlossen und die Lizenz ist ab dem 1. Januar 2021 obligatorisch. Stufe 3 folgt später im Jahr 2021. Wie gesagt, jeder Para-Athlet hat seine eigene Geschichte und oft mussten diese Sportler viele Schwierigkeiten in ihrem Leben überwinden. Es ist bemerkenswert, dass so viele Para-Athleten Taekwondo sich für Taekwondo entschieden haben, und es ist unsere Pflicht als Offiziellen und Trainer, diesen Helden so gut wie möglich zu helfen.

TA: Was ist mit der Kampfrichterausbildung?

Chakir Chelbat: Im Moment wird die Ausbildung für Kampfrichter für Turniere mit unversehrten Sportlern und für Para-Athleten zusammen durchführt. Wenn wir beispielsweise eine Online-Ausbildung von acht Stunden haben, sind ungefähr zwei Stunden für Para-Taekwondo reserviert, was sehr wenig ist. Wir sind im Gespräch mit WT, um dies zu ändern, da die Zahl der Para-Sportklassen gewachsen ist, was bedeutet, dass die Ausbildung angepasst werden muss, damit jede spezifische Para-Sportklasse den gleichen Fokus erhält. Ich vertraue darauf, dass die Führung von WT sehr bald eine gute Lösung findet.

TA: Wie läuft die Auswahl der Kampfrichter für die Paralympischen Spiele in Tokio?

Chakir Chelbat: Wir haben mit 300 Kampfrichtern begonnen, die wir für geeignet hielten, bei den Paralympischen Spielen dabei zu sein. Inzwischen haben wir diese Anzahl auf 50 Kampfrichter reduziert, die einen weiteren Auswahlprozess durchlaufen. Diese 50 Kampfrichter werden bei den  paralympischen Kontinentalqualifikationen eingesetzt. Ein Kampfrichter wird nicht eingeladen, um bei der Qualifikation seiner oder ihrer Kontinentalunion zu amtieren. Zum Beispiel werden beim europäischen Qualifikationsturnier nur Schiedsrichter von außerhalb Europas eingesetzt. Die Qualifikationsturniere für Europa und Asien müssen voraussichtlich Anfang 2021 noch stattfinden. Danach werden wir die Arbeit der Kampfrichter bewerten und die endgültige Mannschaft von 30 Kampfrichtern auswählen. Dieses Kampfrichterteam für die Paralympischen Spiele ist völlig unabhängig vom Kampfrichterteam für die Olympischen Spiele. Man kann als Kampfrichter nicht sowohl an den Olympischen Spielen als auch an den Paralympischen Spielen teilnehmen.

TA: Es ist weniger als ein Jahr, bis die ersten Taekwondo-Wettbewerbe bei den Paralympischen Spielen stattfinden werden. Sie sind technischer Delegierter für WT für dieses wichtige Ereignis. Wie laufen die Vorbereitungen?

Chakir Chelbat: Wir freuen uns, dass WT-Präsident Dr. Choue Para-Taekwondo sehr unterstützt. Ohne seine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Paralympischen Komitee wären wir nicht dort, wo wir jetzt sind. Zum Beispiel werden wir in Tokio 2020/21 drei Gewichtsklassen für Männer und Frauen haben. Denken Sie auch daran, dass Para-Taekwondo bereits eine bestätigte Sportart für die Paralympischen Spiele in Paris 2024 ist. WT hat beantragt, die Gewichtsklassen sowohl für männliche als auch für weibliche Spieler von drei auf fünf zu erhöhen, was eine erhöhte Anzahl von Sportler und mehr Medaillen für Para-Taekwondo bedeuten würde. Wir sind sehr optimistisch und glauben an eine positive Antwort des Internationalen Paralympischen Komitees.

Wir konzentrieren uns ständig darauf, unseren Sport als paralympische Disziplin zu entwickeln. Dies ist ein Nonstop-Prozess. Ein Schwerpunkt ist die Bewertung der Regeln: Wir müssen alle Grauzonen in unseren Regeln und Vorschriften beseitigen. Alles muss klar und transparent sein und darf keinen Raum für Fehlinterpretationen lassen.

Die Zukunft von Para-Taekwondo ist strahlend. Ich und das WT Para-Komitee sind entschlossen, unser Möglichstes zu tun, um sehr erfolgreiche Paralympics in Tokio 2020/21 durchzuführen.

TA: Es gibt viele Diskussionen darüber, ob und wie die Spiele im Jahr 2021 ablaufen können, zum Beispiel, ob Zuschauer möglich sind und so weiter. Was ist Ihre persönliche Meinung dazu?

Chakir Chelbat: Wir haben laufende Treffen mit dem WT Para-Komitee sowie mit dem Paralympic Tokyo Organisationskomitee. Ich weiß, dass jeder ohne Unterbrechung arbeitet und es eine schwierige Zeit für alle ist. Jeder nimmt jedoch seine Verantwortung ernst und gibt sein Bestes. Hoffentlich wird es bald einen Impfstoff geben, damit wir nach Tokio 2020/21 voranschreiten können. Das Hauptaugenmerk muss auf der Sicherheit aller liegen. Wir sind in jeder Hinsicht auf die Spiele vorbereitet und werden unser Bestes geben, um 2021 ein historisches Ereignis zu liefern – das ist unser Ziel.

TA: Gibt es etwas, das Sie ergänzen möchten – eine Nachricht für die Taekwondo-Community?

Chakir Chelbat: Ich hoffe, dass wir durch die verschiedenen Para-Bildungskurse, die vom WT-Para-Komitee ins Leben gerufen wurden, die MNAs und die Clubs erreichen können, um das Bewusstsein, das Wissen und das Engagement zu stärken – und dass dies zur Öffnung der Clubs für mehr Para-Athleten beiträgt. Wir glauben fest daran, dass Bildung der Schlüssel ist und dass wir gemeinsam die Para-Taekwondo-Bewegung entwickeln werden. Ich hoffe, dass meine Botschaft gehört wird und dass jeder Taekwondo-Club allen Taekwondo-Helden – unversehrten und Para-Athleten – die gleichen Chancen bietet.

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