Training schlägt Talent – Was ist, wenn die Turniere ausfallen!?

Wie wird es nach der Corona-Pause weitergehen? Wird es den vielbeschworenen Neuanfang geben – und wenn ja, in welchen Bereichen würden sich die Beteiligten neue Ansätze wünschen? Unser Autor Stefan Gottschalk hat sich umgehört.

Aktuell spielt Corona wieder kräftig mit seinen Muskeln. Für die Sportler ist die aktuelle Zeit nicht schön. Aber wie soll es für Taekwondo als Turniersport weitergehen? Wünschen wir uns einen traditionellen Sport im Hinterhof oder einen modernen, medienfreundlichen Sport mit Glanz und Gloria!?

Jetzt ist die beste Zeit für ein Austausch. Was möchten die Sportler, welchen Weg möchten die regionalen Verbände gehen und vor allem, wohin möchte die Deutsche Taekwondo Union (DTU)? Sicher ist nur eines: Es ist längst Zeit für Veränderungen.

Turniere und auch das Training werden in diesen Tagen bestimmt von ständig neu diskutierten Corona-Auflagen. Beim Training ist es spürbar: Den Sportlern fehlt ein Ziel vor den Augen. Es gibt kaum eine andere Sportart wo „das Gewicht machen“ so im Mittelpunkt steht. Für Taekwondo heißt es normalerweise „kein Ziel ohne Weg“ – aber wofür trainieren die Sportler momentan!?

Fokussierte Vorbereitung und Training – die Turniervorbereitung – wird bei den meisten Sportlern großgeschrieben. Kaum ein anderer Sport fordert so viel Leidenschaft und Entbehrungen wie Taekwondo. Nicht auszudenken, wenn jetzt vielleicht kurz vor knapp doch noch, das eine oder andere der wenigen Turniere abgesagt werden muss, die in der derzeitigen Situation durchgeführt werden sollen. Nicht nur für die Sportler sehr schade. Auch die Organisatoren haben unendlich viele Stunden in die Planung investiert und ein sehr durchdachtes Hygienekonzept erarbeitet. Alle haben sich auf die neue Normalität gefreut. Endlich wieder Wettkämpfe! In der Stille kann man den Aufschrei noch hören…

Was tun mit den Kampflosen?

Gerade der Nachwuchs braucht Wettkämpfe, um zu reifen. Für die ambitionierten Vereine und Sportler waren es schon vor Covid-19 zu wenig realistische Wettkampferfahrung. Denn ein Blick durch das Starterfeld der letzten Turniere zeigt sehr schnell: In den meisten Gewichts- und Altersklasse fehlten schon vor Corona aktive Teilnehmer. Und das, obwohl beim Taekwondo mittlerweile drei Jahrgänge in eine Altersklasse zusammengelegt werden. Trotzdem findet man teilweise nur zwei oder drei Sportler in einer Gewichtsklasse. Dabei wird nach der Waage sogar noch kräftig geschoben, junge Sportler werden kommentarlos einfach in die nächste Gewichtsklasse versetzt. Aber was sollen die Veranstalter sonst machen?

Die Kosten für ein Turnier sind exorbitant hoch. Die Klassifizierungen werden bis ins Kleinste aufgeteilt, damit sich viele Sportler anmelden, denn mit der Startgebühr wird ein Teil der riesigen Kosten gedeckt. Spätestens nach der Waage wird versucht, jedem Sportler bestmöglich gerecht zu werden. Leider bleiben dennoch noch relativ viele Sportler kampflos. Die Motivation und der Spaß am Sport sinken schnell.

Leistungsklassen neu definiert

Dasselbe gilt aber auch bei den Athleten, die nach ihren ersten Wettkämpfen in der Leistungsklasse (LK) 1 schnell gemerkt haben, dass sie sich da doch zu viel zugetraut haben und jetzt nicht mehr in ihre alte Leistungsklasse – LK2 – zurück können. Auch hier wäre es schön, wenn mit Bedacht Lösungen gesucht werden. Warum gibt es zum Beispiel keine Wettkämpfe mit einen leistungsmäßig gemischten Starterfeld? Selbstverständlich nur für die ambitionierten LK2-Athleten, die hier Erfahrungen sammeln möchten. Beim Fußball, Handball und vielen anderen Sportarten sind solche Klasseneinteilungen längst üblich. In der Pokalwertung dürfen hier auch die Amateurvereine mitmachen, sie müssen sich dafür nur qualifizieren. Für alle Teilnehmer ist das ein ganz besonderer Reiz, der Pokal hat längst seinen eigenen Mythos und lebt von vielen Legenden, die dort geboren wurden. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Manchmal reicht ein Blick nach links oder rechts für neue Konzepte.

Was aber passiert mit den anderen LK2-Athleten, die gerade ihre ersten Schritte im Wettkampf machen: Die Anfänger, die Kampferfahrung brauchen und eher schon mal die Lust verlieren, weil sie gegen zwei Jahre ältere und damit viel erfahrene Sportler ihre ersten Erfahrungen sammeln müssen? Unzählige Male haben wir es schon erlebt: Der Trainer bittet den erfahrenen Sportler, „bitte nicht zum Kopf zu gehen“. Wem bringt ein solcher Wettkampf wirklich etwas?

Sicher, bisher ist immer alles gut gegangen. Es gibt aber auch einige Sportler, die nach so einem Erlebnis die Matte nicht mehr betreten wollen. Ist die Gürtelfarbe im modernen Taekwondo wirklich ein guter Gradmesser für Wettkämpfer!? Oder sollten wir darüber nachdenken, bei der Klasseneinteilung stärker auf die Wettkampferfahrung zu achten?

Was sagen die Trainer?

Was uns allerdings am meisten gewundert hat bei unserer Recherche: Die meisten von uns angesprochenen Trainer sind sich einig und haben die gleichen Gedanken. Warum brauchen Nachwuchsturniere (Jugend D & C) Elektrowesten und Videoreplay? Back to the roots! Wir haben hervorragende Kampfrichter, traut ihnen mehr zu. Auch in Zeiten des Videoreplay wäre es schön, wenn die Kampfrichter auf diese Weise wieder stärker geschult würden, eigene Entscheidungen zu treffen.

Gestaltet bei Turnieren die Gewichts- und Altersklassen etwas enger. Macht den Sport fairer: maximal zwei Jahrgänge. Öffnet die LK1 für ambitionierte LK2 Sportler. Es gibt kaum eine andere Sportart, wo drei Jahrgänge in einer Jugendklasse sind. Gerade in der Jugend C und D ist der kognitive Unterschied zwischen einen 6-,7-, 8-, oder gar 11-jährigen riesig! Die von uns befragten Trainer wünschen sich kleinere Turniere mit einer sensibleren Klassifizierung. Wie kann man die Leistungsgruppe 1 und 2 offener gestalten? Das Ziel: Der Beste soll gewinnen, die Anfänger sollen lernen. Wer einmal in LK1 gekämpft hat, kann nicht mehr zurück. Am Ende hängt der Sportler seinen Dobok an den berühmten Nagel und hört mit Taekwondo auf, auch weil das Reglement aktuell absolut keinen Spielraum lässt. Es gibt so viele Ansätze – es wäre schon ein Erfolg, wenn sich die Verbände einfach mal darüber austauschen und das Ergebnis den Sportlern und Mitgliedern präsentieren würden.

Die Konkurrenz schläft nicht

So weiterzumachen, nur weil es Tradition ist, wird auf Dauer der falsche Weg sein. Gerade die aktuellen Sportarten, die sich am deutschen Markt etabliert haben, orientieren sich in regelmäßigen Abständen an den Zuschauern. Das Geschäft ist schnelllebig und immer in Bewegung. Taekwondo mit seiner Tradition ist – leider – weit weg vom Markt und sprichwörtlich verstaubt. Die Vereine brauchen mehr Unterstützung, einen Dialog. Wo steht unser Sport, Taekwondo, in fünf Jahren? Bleibt alles wie es ist oder kommen neuer Wind und neue innovative Änderungen? Wird weiter nur verwaltet oder traut man sich an Änderungen, die den Sport zumindest verändern, wenn nicht sogar vorantreiben!?

Dabei ist gerade Taekwondo durch seine Dynamik, Geschwindigkeit und Athletik und vor allen durch sein transparentes Wertungssystem prädestiniert sich einen neuen Markt zu öffnen. Taekwondo hat Potential und ist in unseren Augen sogar Fernseh-tauglich. Etwas mehr Entertainment, vielleicht auch nur eine kleine Änderung in der Präsentation, wären ein Anfang. Hier sind vor allem die Verbände gefragt, gemeinsam einen Weg zu finden. Auch praktische Hilfe wäre gefragt. Zum Beispiel in Form eines gemeinsamem Equipment-Pools inklusive E-Westen für die Turniere!? Es gibt hier sicher eine Möglichkeit, eine partnerschaftliche Lösung zu finden. Ein Blick in die Kampfsport-Landschaft zeigt es schnell. Sportarten wie Judo, Ringen sind seit 2015 fester Bestandteil der Ruhr Games. Für die Sportler ein riesiges Erlebnis und für den Sport eine großartige Marketingplattform. Warum nicht eine Task-Force gründen, die Taekwondo dort ebenfalls unterbringt. Die benötigten Kosten ließen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit über Sponsoren decken. Aber nicht nur da zeigen sich die Verbände sehr kreativ. Während der Coronazeit waren haben sich verschiedene Martial Art Verbände Änderungen einfallen lassen und sind neue Wege gegangen. Für sie stand einfach nur der Sportler im Vordergrund.

Sind wir ehrlich, auch viele der überreichten Pokale sind nicht mehr zeitgemäß. Warum bewerten die regionalen Verbände nicht die Ergebnisse, führen für die Sportler LK 1 und 2 eine Rangliste ein und laden am Ende der Saison zu einer Siegerehrung!? Ambitionierte LK2-Kämpfer qualifizieren sich für ausgeschriebene LK-1 Wettbewerbe. Für den Nachwuchs gibt es kleine Einladungsturniere im eigenen Dojang. Die Schnittmenge der Sportler wird groß sein, schon jetzt nehmen selbst die jüngsten Sportler viele Kilometer in Kauf, um an Wettkämpfe teilnehmen zu können. Gebt den Sportlern endlich ein motivierendes Ranglistensystem. Wir sprechen hier von 10 bis 20 nationalen Nachwuchsturniere die überhaupt in die Bewertung berücksichtig werden müssen. Wertet die LK2 und damit den gesamten Sport auf. Es braucht nicht nach jedem Wettkampf eine Auszeichnung. Pflegt Ranglisten und schafft Highlights durch ein Finalturnier. Hier kann es gerne für jeden Teilnehmer eine Medaille geben, und für die Gewinner einen standesgemäßen Pokal. Es gibt so viele Ansätze, fangt an darüber nachzudenken.

Info:
Was kostet eigentlich ein Turnier?

Wenn wir über die Turnierorganisation sprechen, spielen auch die Kosten eine Rolle. Diese sind in den letzten Jahren durch die neuen Anforderungen an das Equipment enorm gestiegen. Wenn man nachrechnet, stellt sich heraus, dass bereits ein Nachwuchsturnier im kleinen Rahmen auf rund 10.000 Euro an Unkosten kommt:

Halle: (für manche Vereine / Veranstaltungen kostenlos)
Sanitäter + Arzt: 1.400,- Euro (wächst deutlich mit der Teilnehmerzahl)
Turnierverwaltung: 4.000,- Euro (E-Westen, Monitore etc.)
Kampfrichter: 1.800,- Euro (wächst mit der Anzahl der Kampflächen)
Pokale: circa 2.000,- Euro
Essen und Trinken für die Kampfrichter: 400,- Euro (einfache Kost & Getränke)
Summe = 10.000,- € (+/- 2.000,- Euro)

Für größere Turniere wird leicht ein Vielfaches benötigt. Viele Turnierorganisatoren sind deshalb vollauf beschäftigt, diese Basiskosten zu decken – für neue Konzepte fehlen oft Mittel und Motivation. Nach der Coronapause wäre eine Gelegenheit, aus diesem Korsett auszubrechen und althergebrachte Traditionen zu überdenken.

Text und Fotos: Stefan Gottschalk / mediabel