Im Auftrag des Kukkiwon
Juang-hun Lee

Im Alter von dreiunddreißig Jahren war Juang Hun Lee bereits auf allen fünf Kontinenten aktiv. Seit zwei Jahren ist er in Portugal als Kukkiwon Dispatch Master tätig. Wir sprachen mit dem weitgereisten Taekwondo-Meister über seine Erfahrungen und seine Pläne.

TA: Meister Lee, was waren Ihre ersten Schritte im Taekwondo und wie wurde der koreanische Nationalsport zur treibenden Kraft in Ihrem Leben?
Meister Juang-hun Lee: Als ich sechs Jahre alt war, war ich ziemlich frech zu meinen Freunden und generell zu allen Leuten. Ich glaube, es war damals sehr schwierig, meine Energie zu kontrollieren, und ich erinnere mich, dass mein Vater, meine Lehrer und viele andere Leute oft mit mir schimpften. Eines Tages schickten mich meine Eltern in eine Taekwondo-Akademie. Als ich das erste Mal in den Dojang ging, verhielt ich mich wie immer, aber jetzt applaudierten mir die Leute und nannten mich einen „Büffel“, weil ich immer weiterging und angriff, auch wenn ich getroffen wurde. Dieser Applaus war das erste Mal, dass ich auf positive Weise wahrgenommen wurde. Von diesem Tag an verliebte ich mich in Taekwondo und verpasste bis zu meinem Abschluss keine einzige Trainingseinheit mehr, selbst wenn ich krank oder verletzt war. Bei meinem ersten Wettkampf gewann ich eine Bronzemedaille und das war der Beginn meiner Taekwondo-Karriere.

TA: Sie waren Nationaltrainer für Kyorugi in Paraguay, Nationaltrainer für Poomsae in Uganda und jetzt sind Sie Kukkiwon Dispatch Master in Portugal. Warum haben Sie sich entschieden, Korea zu verlassen und Taekwondo im Ausland zu unterrichten?
Meister Juang-hun Lee: Dafür gibt es drei Gründe. Erstens sagten mir meine Eltern von klein auf: „Sei kein ignoranter Sportler“. Also lernte ich zwischen den Trainingseinheiten Englisch und Chinesisch, damit ich mich im Umgang mit Ausländern wohl fühlen würde. Damals begann ich davon zu träumen, ins Ausland zu gehen und mit der Nationalmannschaft eines anderen Landes zu arbeiten. Als ich nach Paraguay ging, arbeitete ich als Freiwilliger für KOICA, die Korea International Cooperation Agency, und leistete auf diese Weise auch meinen Militärdienst ab. Meine Aufgabe war es, der paraguayischen Polizei Taekwondo beizubringen. Das war eine wertvolle Lernerfahrung für mich in dieser Zeit. Ich erkannte, dass Taekwondo ein großes Potenzial hat, um in der internationalen Politik eingesetzt zu werden und mit einflussreichen Menschen im Ausland in Kontakt zu treten. Der dritte Grund war die Ehre – ich hatte das Gefühl, dass Ehre wichtiger ist als Reichtum, und ich war zuversichtlich, dass, wenn ich mich auf die Ehre konzentriere, der Reichtum folgen würde. Ich kann also sagen, dass ich mich entschieden habe, ins Ausland zu gehen, um Taekwondo zu unterrichten, um meine Ehre und meine Karriere zu verbessern.

TA: Paraguay, Uganda und Portugal sind drei sehr unterschiedliche Länder. Wie haben Sie es geschafft, sich jedes Mal an die Kultur und den Lebensstil anzupassen?
Meister Juang-hun Lee: Um den Einheimischen näher zu kommen, ist es wichtig, die Sprache und die Kultur zu lernen, und um das so schnell wie möglich zu tun, habe ich versucht, wie ein Einheimischer zu leben. Ich habe mich darauf konzentriert, wie die Einheimischen sprechen, sich verhalten oder welche Gesten sie benutzen, und so konnte ich mich gut an die verschiedenen Länder anpassen.

TA: Ihre erste wichtige Station als Trainer war Paraguay. Welche Erfahrungen und Erinnerungen haben Sie von dort mitgenommen?
Meister Juang-hun Lee: In Paraguay organisierte ich eine nationale Tournee mit Taekwondo-Vorführungen und -Unterricht in Städten im ganzen Land. Einmal im Jahr machten wir 14 bis 16 Vorführungen in vierzehn Tagen mit einer großen Delegation, bestehend aus Mitgliedern der Nationalmannschaft und der Polizei sowie Mitgliedern des Taekwondo Peace Corps, aber auch der Polizei als Sicherheitskräfte und Teamärzten. Ich war für jede Kleinigkeit verantwortlich, habe also viel gelernt und war mit dieser Erfahrung absolut zufrieden.
Ich erinnere mich besonders an eine Demonstration in Caacupe. Wir waren 18 Mitglieder, die sich auf eine Demonstration vorbereiteten, aber aufgrund eines Missverständnisses war niemand da, um uns zu empfangen, so dass wir ziemlich frustriert waren. Aber nach 30 Minuten tauchte ein kleines Kind von fünf Jahren auf, und so führten unsere 18 Mitglieder eine Demonstration für das kleine Kind durch, und zu diesem Zeitpunkt taten wir alle unser Bestes, um die Bretter zu zerschlagen, mehr als wenn wir vor 1000 Menschen demonstrieren würden. Ich war so glücklich, und es war so rührend.
Ein anderes schönes Erlebnis, an das ich mich erinnern kann, war, als meine Familie nach Paraguay kam. Ich fuhr zum Flughafen, um meine Eltern abzuholen, und als wir den Flughafen verließen, warteten meine 60 Studenten der Polizeiakademie in Uniform auf uns, um uns einen herzlichen Empfang zu bereiten und Geschenke für meine Familie zu überreichen. Danach begleiteten sie uns mit zwei Polizeiautos, die die Ampeln kontrollierten, zum Hotel. Solche Dinge werde ich nie vergessen.

TA: Was ist Ihnen aus Uganda am Besten in Erinnerung geblieben?
Meister Juang-hun Lee: In Uganda musste ich als Nationaltrainer meine Athleten unterrichten, aber es gab keinen Platz zum Üben und Trainieren, also begann ich, auf dem Dach des Hauses, in dem ich wohnte, Unterricht zu geben. Aber die Nachbarn behaupteten, wir würden zu viel Lärm machen, also wurden wir rausgeworfen. Danach fand ich einen Parkplatz vor einem im Bau befindlichen Gebäude, und der Eigentümer erlaubte uns, den Platz für die Nationalmannschaft zu nutzen, aber nach einer Woche kam der Bürgermeister der Stadt zu uns und verbot unser Training. Er erklärte, dass er dies tat, weil unser Training einen großen Stau verursachte, weil Auto- und Motorradfahrer anhielten, um zuzusehen. Nachdem wir zum zweiten Mal rausgflogen waren, fand ich ein Yogazentrum für das Training der Nationalmannschaft, aber wieder beschwerten sich die Anwohner über unser Geschrei während des Trainings, da es sich um ein Wohngebiet handelte. Zu diesem Zeitpunkt geriet ich fast in Panik und wusste nicht, was ich tun sollte. Aber ich wusste, dass ich nicht aufgeben durfte, und während ich nach einem anderen Ort suchte, an dem wir trainieren konnten, sammelte ich Spenden und bat die Leute um Hilfe. Und am Ende zahlten sich meine Bemühungen aus: Ich bekam eine große Fabrik kostenfrei zur Verfügung gestellet, in der ich ein Kukkiwon Taekwondo Zentrum einrichten konnte. Solche Erfahrungen haben mir gezeigt, dass man alles erreichen kann, wenn man den Mut nicht verliert.

TA: Warum sind Sie nicht länger in Paraguay oder Uganda geblieben und warum haben Sie sich entschieden, nach Portugal zu gehen?
Meister Juang-hun Lee: Ich musste von Paraguay nach Korea zurückkehren, weil mein Militärdienst zu Ende war. Aber ich hatte wirklich das Gefühl, dass ich während meines Auslandsaufenthaltes eine Stufe aufgestiegen bin, also wollte ich diese Erfahrung in einem anderen Land als Kukkiwon Dispatch Master vertiefen. Leider konnte ich wegen Covid 19 nicht so lange in Uganda bleiben, wie ich erwartet hatte. Als ich nach Korea zurückkam, musste ich mir überlegen, ob ich als Dispatched Master weitermachen sollte oder nicht. Ich entschied mich, meinem Weg zu folgen und nach Portugal zu gehen. Um ehrlich zu sein, war das eine große Herausforderung für mich, denn als ich in Uganda zum ersten Mal Dispatched Master wurde, bestand ich die Prüfung in fünf Anläufen, und für Portugal musste ich eine weitere Prüfung ablegen. Aber ich war bereit, alle Hindernisse zu überwinden und habe an mich geglaubt.

TA: Wann sind Sie in Portugal angekommen und was gefällt Ihnen am meisten an Ihrem neuen Heimatland?
Meister Juang-hun Lee: Ich kam im August 2021 in Portugal an und lebe jetzt in Lissabon. Portugal ist im Vergleich zu anderen Ländern ein sehr ruhiges Land und hat ein großes Potenzial, die Taekwondo-Industrie wachsen zu lassen und Taekwondo im ganzen Land zu verbreiten. Und außerdem mag ich das Klima.

TA: Wann genau sind Sie Kukkiwon Dispatch Master geworden und was war Ihre Motivation, sich zu bewerben?
Meister Juang-hun Lee: Wie ich schon sagte, glaubte ich daran, dass Taekwondo eine Superkraft hat, mit der man in der ganzen Welt viel erreichen kann. Und ich wollte eine der wichtigen Personen sein, die Taekwondo, Korea und die koreanische Kultur größer und besser machen. So dachte ich, dass ein Dispatched Master der erste Schritt sein könnte, um einige Ziele zu erreichen. Ich wurde 2019 zum ersten Mal ein Dispatched Master.

TA: Was sind Ihre Aufgaben und Aktivitäten als Kukkiwon Dispatch Master in Portugal?
Meister Juang-hun Lee:Meine Haupttätigkeit ist im Moment das Unterrichten von Taekwondo an der Militärakademie und der Marineschule. Und als technischer Berater des Verbandes versuche ich, dem Verband zu helfen und einen Beitrag zu leisten. Ich besuche auch viele Vereine in Portugal, um Seminare oder Trainings zu geben, damit ich Beziehungen zu Meistern in Portugal aufbauen kann.

TA: Welche Aktivitäten als Dispatch Master machen Ihnen persönlich am meisten Spaß?
Meister Juang-hun Lee: Ich unterrichte gerne Militär und Polizei, weil ich ihren Geist mag und sie einen starken Willen haben, Taekwondo zu lernen. Selbst wenn sie Anfänger im Taekwondo sind, verbessern sie sich sehr schnell. Und da ich Nationaltrainer von Paraguay und Uganda war, unterrichte ich auch gerne das Kyorugi-Team.

TA: Was waren bisher die wichtigsten Erfolge in Portugal – worauf sind Sie stolz?
Meister Juang-hun Lee: Da ich noch nicht so lange hier bin, bin ich noch nicht sehr stolz auf mich, aber ich bin zuversichtlich, dass ich nach und nach größere Erfolge erzielen kann. Im Moment bin ich zufrieden mit meinem Beitrag zu den Poomsae-Europameisterschaften in Seixal, Portugal, und der Organisation eines Besuchs des Kukkiwon-Demonstrationsteams. Ich habe auch einen Meister- und Prüferlehrgang der World Taekwondo Academy in Portugal organisiert, an dem mehr als 100 Meister aus vielen Ländern teilnahmen.

TA: Wie war die Situation des Taekwondo in Portugal, als Sie in das Land kamen?
Meister Juang-hun Lee: Als ich 2021 hierher kam, sah ich eine Reihe guter Sportler in Poomsae und Kyorugi, aber sie hatten keine gute Konkurrenz untereinander. Wenn es einen guten Sportler gab, war er oft der Einzige in seiner Kategorie. Ich denke, dieses Problem hat sich jetzt verbessert, aber ich hoffe immer noch, dass es in Portugal mehr Teilnehmer gibt, so dass wir aus verschiedenen Athleten wählen können.
In Portugal sind die Kampfsportarten mit den meisten Teilnehmern Judo und Jiu-Jitsu, und ich habe gehört, dass der Judo-Verband ein Budget von über 1,5 Millionen pro Jahr hat. Taekwondo hingegen wurde bis letztes Jahr überhaupt nicht unterstützt.
Um die Taekwondo-Gemeinschaft zu vergrößern, denke ich, dass die Ausbildung von Sportlehrern oder Studenten an der Nationalen Pädagogischen Hochschule und die Beschäftigung von Lehrern, die Taekwondo an der Basis verbreiten, ein guter Weg sind, um unseren Sport zu fördern.

TA: Was sind die positiven Aspekte und Stärken von Taekwondo in Portugal?
Meister Juang-hun Lee: Obwohl es in Portugal nicht viele Vollzeitvereine und kein starkes Trainingsumfeld gibt, hat Portugal viele gute Sportler. Sobald wir bessere Bedingungen und ein besseres Umfeld haben, denke ich, dass portugiesische Spieler viele Wettbewerbe gewinnen können. Außerdem hat die Taekwondo-Welle hier noch nicht wirklich begonnen, deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Taekwondo-Gemeinde in Portugal weiter wachsen wird.

TA: Was sind Ihre Ziele, Ideen und Pläne für zukünftige Aktivitäten?
Wie meine Vorgänger möchte ich von meinen Schülern als Dispatch Master respektiert werden und ich hoffe, dass meine Schüler wichtige Positionen in der Gesellschaft und im Land erreichen. Deshalb möchte ich weiterhin an der Marineschule und der Militärakademie unterrichten und hoffe, dass ich in Zukunft auch in anderen portugiesischen Einrichtungen und Organisationen unterrichten kann. Und wenn die Chance besteht, dass einer meiner Schüler an den Olympischen Spielen teilnimmt, dann ist es mein Traum, dabei zu sein.

Info:
Das World Taekwondo Headquarters Kukkiwon hat derzeit Taekwondo-Meister in 56 Länder der Welt entsandt. Diese so genannten Dispatch Masters sind eine Art diplomatisches Korps des Taekwondo: Sie verbreiten den koreanischen Nationalsport in ihren neuen Heimatländern und unterstützen lokale Sportler und Organisationen. In unserer Serie stellen wir die Männer und Frauen vor, die Korea den Rücken kehren, um Taekwondo in der Welt populärer zu machen.