In memoriam Rainer Müller

Rainer Müller in seiner aktiven Zeit

Rainer Müller ist als erster deutscher Weltmeister in die Taekwondo-Geschichte eingegangen. 1979 erkämpfte er sich den begehrten Titel bei der Heim-WM in Sindelfingen – danach zog er sich aus der Taekwondoszene zurück. Am 10. August 2023 ist Rainer Müller im Alter von 69 Jahren verstorben. Unsere Gedanken gelten seiner Familie und seinen Freunden.
Wir sprachen 2010 mit Rainer Müller. Zur Erinnerung an den Ausnahmeathleten veröffentlichen wir das Interview hier erneut:

TA: Zwischen 1976 und 1979 holten Sie sich alle Titel, von denen ein Taekwondosportler träumen kann: Sie wurden 1978 Europameister, 1979 Weltmeister und dazu drei Mal deutscher Meister. Wie sind Sie seinerzeit eigentlich zum Taekwondo gekommen?

Rainer Müller: Das war Anfang der siebziger Jahre, in einer Zeit in der – wenn ich so zurückdenke – weniger mit Worten argumentiert wurde, als mit den Fäusten. Ich war 19 Jahre alt und ein Bekannter hat mir seine Taekwondo-Kenntnisse demonstriert, indem er einen Gartenzaun mit bloßen Händen zerlegte. Ganz schön blöd – aber das hat mich damals beeindruckt und so kam ich zum Judo-Center Hagen. Cheftrainer des Vereins war Gerd Gatzweiler aus Essen. Ich habe zunächst zwei bis drei Mal in der Woche trainiert.

TA: Aber dabei blieb es nicht?

Rainer Müller: Richtig gepackt hat mich der Sport als die erste Taekwondo-Mannschaft des RSC Essen – Gerd Gatzweilers Hauptverein – während der Vorbereitung auf die deutsche Meisterschaft zu uns nach Hagen kam und uns sehr zusetzte. Von da an gab es für mich kein Halten mehr und ich habe intensiv trainiert, sowohl in Hagen als auch in Essen, sechs Tage in der Woche und vor Turnieren täglich und zusätzlich 2 Monate vorher jeden Morgen  5 km Waldlauf im Höchsttempo.

Rainer Müller 2010

TA: Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich einen Namen gemacht hatten?

Rainer Müller: Ich konnte mich schnell etablieren: 1973 hatte ich mit dem Training begonnen, 1976 wurde ich zum ersten Mal deutscher Meister. Das lag auch daran, dass ich sehr gute Trainingspartner hatte. Den schwierigsten Gegner meiner Karriere habe ich zum Beispiel nicht bei einem internationalen Turnier getroffen, sondern in meinem  Vereinskollegen Dirk Jung, der um einiges schwerer war als ich, technisch unglaublich gut und für ein Schwergewicht von erstaunlicher Schnelligkeit. Sowohl beim Training miteinander als auch beim Sparring gegeneinander haben wir uns nichts geschenkt und beide – so glaube ich – davon profitieren können.

TA: Wie war das bei den Weltmeisterschaften 1977 und `79 – man hört ja zum Beispiel oft, die Koreaner seien damals extrem dominant gewesen. Wie haben Sie sich da durchgesetzt?

Bei der WM 1979 in Sindelfingen

Rainer Müller: In meiner Gewichtsklasse habe ich das nicht so empfunden – da hatten die Koreaner damals physisch nicht so starke Leute. Ich bin nur zweimal auf einen Koreaner getroffen. Das erste Mal bei den Pre Word Games 1978 in Seoul im legendären Kukkiwon. Im Halbfinale traf ich auf einen Koreaner, Weltmeister natürlich, der dann auch mehr als schmeichelhaft zum Sieger erklärt wurde.  Die zweite Begegnung war im Halbfinale der WM in Sindelfingen – hier fand ich war der Ausgang eindeutig. Mehr Probleme bereiteten die Europäer, allen voran die Holländer, die den deutschen Sportlern von der Athletik her ähnlicher waren und dabei ausgezeichnete Techniker.

TA: Was hat sich für Sie geändert, nachdem Sie Weltmeister wurden?

Rainer Müller: Ich lebe in einer Stadt mit 30 000 Einwohnern und da sprach sich mein Titel schnell herum. Ich wurde auf der Straße erkannt und werde das auch heute noch, obwohl ich seit vielen Jahren nichts mehr mit Taekwondo zu tun habe. Aber ich war ja nicht nur Leistungssportler sondern auch lange Jahre Trainer des Letmather TV sowie Landestrainer der NWTU und noch heute grüßen mich viele junge Leute – das sind die Söhne von den Männern, die ich als junge Sportler trainiert habe und die sich immer noch gerne an die „alten“ Zeiten erinnern.

Coaching mit Park Soo-Nam, die Wettkämpferin ist Bettina Engelkin, Schülerin von Rainer Müller aus Letmathe

TA: Nach Ihrem Weltmeistertitel haben Sie sich aus dem Leistungssport zurückgezogen. Wie kam das?

Rainer Müller: Irgendwann kam für mich die Entscheidung: Taekwondo oder Beruf. Ich hatte eine Ausbildung zum Industriekaufmann gemacht und begann, beruflich aufzusteigen. Mein Stil war es immer, hundert Prozent zu geben. Das hatte ich als junger Mann beim Taekwondo gemacht und das hielt ich dann auch im Beruf so. Ich absolvierte Weiterbildungen und ein Managementstudium an der FernUni Hagen. Heute leite ich als Prokurist das Personal- und Rechnungswesen bei einem mittelständischen Unternehmen mit 350 Mitarbeitern. Sport betreibe ich heute als Hobby, allerdings kein Taekwondo mehr.

TA: Verfolgen Sie das aktuelle Taekwondogeschehen aus der Ferne?

Rainer Müller: 2003 besuchte ich nach langer Zeit einmal wieder ein Turnier, die Weltmeisterschaft in Garmisch-Partenkirchen. Es gab dort ein Treffen von erfolgreichen deutschen Sportlern, an dem ich teilnahm. Aber ich war nur einen Tag dort. Zum modernen Taekwondo, mit Helm und vielerlei technischem Equipment, fehlt mir einfach die Beziehung.

TA: Was war während Ihrer aktiven Zeit Ihre große Motivation?

Auf dem Rückflug von Chicago, Rainer Müller mit Hubert Leuchter und Dirk Jung (von rechts)

Rainer Müller: Gerd Gatzweiler hatte beim RSC Essen eine tolle Truppe versammelt – so viele talentierte Sportler an einem Ort zu haben, war ein Glücksfall.  Die Tatsache, dass der RSC Essen zwischen 1975 und 1978 ununterbrochen viermal Deutscher Mannschaftsmeister wurde, verdeutlicht die Konzentration guter Kämpfer, die aus Essen und Hagen unter der Leitung des damals sicherlich besten Vereinstrainers zusammen gefunden hatten. Wir haben uns auch privat sehr gut verstanden, waren im Verein eng befreundet und sind zum Beispiel einmal im Jahr als Gruppe verreist. In so einem Umfeld hatte man einfach das Gefühl, dass Taekwondo das Schönste ist, was man machen kann. Dazu kamen natürlich die Erfolge, die ein großer Motivationsmotor waren.

Rainer Müller
22. Dezember 1953 bis 10. Augsut 2023
Wichtigste Erfolge:
1977 3. Platz Weltmeisterschaft (- 74 kg, Weltmeisterschaft in Chicago)
1978 Europameister (- 74 kg, Europameisterschaft München)
1979 Weltmeister (-73 kg, Weltmeisterschaft in Sindelfingen)
3-facher Deutscher Meister (1976, 1978, 1979)